Über Sinn und Unsinn einer Bibliothek ohne Bücher

Heute kam es zu einem Tür- und Angelgespräch mit einer ca. 35 Jahre alten Kollegin, die nach einer eher mißglückten Ansprache an einen Schüler, der sich mit mir in einem Gespräch über seine Zukunft nach dem Schulabgang befand, nicht schnell genug entfernen konnte.

So nahm ich ihren Auftritt zum Anlass zu hinterfragen, warum es dem Schüler von ihr untersagt sei, in der großen Pause mit mir über für ihn wichtige Aspekte seiner Zukunft zu sprechen. Ihre Antwort – vor dem Schüler – war es mir dann wert, diesem Beispiel von vollständig überholten und lebensfernen Attitüden einen eigenen Beitrag zu widmen.

Der Schüler und ich wurden dann dahingehend informiert, dass die Schulleitung die Bibliothek als Ruhe- und Lernraum definiert hätte und somit auch in der Pause solche Gespräche dort nicht stattfinden dürften. Ungeachtet der Tatsache, dass ich mich mit dem Schüler alleine in dem Raum befand und der Schulhof mit gähnender Leere und knapp 30 Grad wenig einladend erschien, war dann auch das zweite Argument der Lehrerin wenig hilfreich. Sie wies auf das negative Beispiel für Jüngere hin, die dann eventuell auch in diesen für die Oberstufe vorbehaltenen Raum eindringen wollten.

Nach zwei Jahren Schulerfahrung bin ich tatsächlich resilienter im Bezug auf selbstreferenzierte Pädagoginnen, aber das sich nun anschließende Gespräch war dann selbst mit viel Gutmütigkeit nur schwer zu ertragen.

Auf meine Frage welche Bedeutung eine Bibliothek mit ca. 30m leerer Regale im Jahre 2022 für orientierungslose Schulabgänger und Oberstufenschüler auf dem Weg zur allgemeinen Hochschulreife habe, erklärte die ambitionierte Kollegin, dass es wertvoll wäre in Büchern zu blättern.

Mein Hinweis, dass über 90% der Abiturienten auf meine Frage nach ihrer Zukunft mit Unschlüssigkeit oder Unwissenheit reagierten und diese krisenhafte Lage nicht mit romantischen Hinweisen auf die Haptik des analogen Lesens beantwortet wird, brach der Konflikt eines Externen und einer Internen konkret auf.

So habe ich es mir erlaubt auf die Präambel des Schlussberichts einer Kultusministerkonferenz aus 2016 zu zitieren, in der eindeutig auf die Pflicht des Lehrers hingewiesen wird, sich selbständig die neuesten Kommunikationstechnologien anzueignen und lebendig an der technologischen Weiterentwicklung teilzuhaben, um der digitalen Herausforderung folgen zu können bzw. wesentliche Voraussetzungen zur Teilhabe am digitalen Wandel entsprechen zu können.

Eine leere Bibliothek, die nach mehreren Jahren der Planung nun endlich mit leeren Regalen ausgestattet wurde, die dazu mit 5 Böden und 30 m großzügig dimensioniert scheint, sei sicher nicht Ausdruck eines Strukturwandels oder gar eines „digitalen Gens“ der Planer.

Aber es kam noch schlimmer….

So durfte ich mir als Antwort eine flammende Argumentation anhören, die die Wichtigkeit des Nachschlagens in einem Wörterbuch oder Atlas betonte, da ja schließlich auch an den Universitäten nicht alles digital wäre. Auf meinen Einwand, dass es bereits Auszubildende gäbe, die bei der Umsetzung von Reparaturen mittels „Augmented Reality“ arbeiten und die Lehrer wenigstens das Ziel haben sollten, Schülerinnen und Schülern eine Brücke in die Zukunft und nicht in die Vergangenheit zu bauen, war neben dem Unverständnis und dem Unwissen in erster Linie folgender Satz erschreckend…

„Was die in der KMK (Kultusministerkonferenz) beschließen und die Industrie sich wünscht ist eine Sache – wir hier finden das wichtig und da die Schulleitung dies so unterstütze wird das hier eben so gemacht.“

Neben dieser verbrämt romantischen Sicht einer Pädagogin, die ihre eigene Befindlichkeit an eine ebensolche der Schulleitung nahtlos adaptiert, ist vor allem die reaktionäre Haltung eines Systems aus meiner Sicht bemerkenswert.

2 Jahre Distanzlernen, etliche Aufrufe von Industrieverbänden und am Ende der gesunde Menschenverstand eines für Kinder und Jugendlichen Verantwortlichen sollte ausreichen, um die Diskrepanz von Bildungssystem zu Arbeits- und Forschungsmarkt für sich zu begreifen.

Die Bequemlichkeit eines Jobs mit weit über 60 freien Tagen und annähernd ungestörten Freiräumen lebensferne Romantik zur Attitüde zu machen, darf nicht zu Lasten einer Generation von Schülerinnen und Schülern werden.

Es wird Zeit adäquate Standards und qualitätssichernde Strukturen zu schaffen, die das Bildungssystem von innen reformieren – nicht zwanghaft sondern aus Überzeugung. Dazu bedarf es grundlegender Verbesserungen in den Bereichen Kommunikation und Transparenz.

Wacht auf! Bleibt neugierig! Seid laut und fordert ein!

Bildungssystem ist eine Dienstleistung für unsere Zukunft und nicht der Spielplatz für reaktionäre Pädagogen.

Zum Abschluss noch ein kurzer Ausschnitt aus der Präambel von Frau Dr. Claudia Bogedan
Präsidentin der Kultusministerkonferenz aus 2016:

Unterrichtsziel ist vermehrt der Erwerb der Kompetenz zur Nutzung digitaler Arbeitsmittel und -techniken. Dieses bedingt aber auch neben dem Verständnis für digitale
Prozesse die mittelbaren Auswirkungen der weiter voran schreitenden Digitalisierung, z. B. in Bezug auf arbeitsorganisatorische und kommunikative Aspekte bei
teilweise global vernetzten Produktions-, Liefer- und Dienstleistungsketten, mit in
den Blick zu nehmen.

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